Die Impfung

 

Vor einiger Zeit musste ich wie gewöhnlich plötzlich ins Ausland. Ich sah meine Dokumente durch und musste zu meinem Schrecken feststellen, dass mein Pocken-Impfzeugnis abgelaufen war.

Natürlich kann man kreuz und quer durch ganz Europa fahren, ohne auch nur ein einziges Mal nach einem Impfzeugnis gefragt zu werden. Aber das ist ein Hasardspiel.

Hat man Pech, so genügt das Gerücht, dass irgendein Derwisch in Timbuktu zwei Pickel auf der Nase hat, und schon beginnen sie auf jedem Flughafen völlig hysterisch deine Papiere zu kontrollieren.

Die Wirkung des Pockenserums hält drei Jahre vor. Ich war bereits im vierten.

»Scheußlich«‚ sagte die beste Ehefrau von allen. »Du armer Teufel musst jetzt in dieses blöde Gesundheitsministerium, und irgendeine frustrierte Krankenschwester wird dir ihre Nadel in den Arm rammen. Der ganze Arm wird anschwellen, wehtun und teuflisch jucken, denn genau genommen verpassen sie dir einen leichten Pockenanfall. Angeblich sind die Bakterien, die sie in dich hineinpumpen, tot. Aber sie haben noch nie ihren Totenschein gezeigt.«

Sie rief ein Konzilium von Freunden, Bekannten und Reisegefährten zusammen.

»Ihr Mann könnte versuchen, mit dem abgelaufenen Impfzeugnis durchzukommen«, schlug Ingenieur Glück vor.

»Am Heathrow-Flughafen zum Beispiel gibt es diesen spitznasigen Beamten, der mit der hebräischen Schrift nicht zurechtkommt, weil er sie in der falschen Richtung liest. Wenn Ephraim Glück hat, kommt er bei ihm durch.«

»Ja«, fügte seine Gattin hinzu, »aber wenn er nicht durchkommt, gibt man ihm gleich dort am Flughafen eine Spritze. Dann nützt ihm das ganze Abreiben nichts.«

Sie hatte recht. Auch meine Frau war überzeugt davon, dass es nur eine einzige Methode gibt, sich gegen die Behörden und ihre albernen Methoden zu wehren: Man muss sich sofort nach der Impfung ins nächste Klo einsperren und dort die Einstichstelle so lange mit einem Taschentuch reiben, bis das Gift aus dem Körper heraus ist.

»Wenn man ganz sicher gehen will«‚ schloss die beste Ehefrau von allen das Palaver, »nimmt man statt des Taschentuches sterile Gaze.«

Meine Frau ist bekanntlich gewohnt, praktisch zu denken.

Sie hat eine Apotheke in der Stadt entdeckt, die eine ganz spezielle Antipockenimpfungsgaze vertreibt. Manche Leute verwenden zwar nur Watte und benützen das Taschentuch zum Abbinden des Armes, um die Verbreitung des Serums zu verhindern. Frau bBlum riet zu Eau de Cologne: großzügig über den Einstich gegossen, neutralisiert es die Impfung sofort.

»Oder«, sagte sie, »man könnte auch wie bei Schlangenbissen verfahren. Einfach die Wunde absaugen
. . .«

Um es kurz zu machen, die beste Ehefrau von allen und ich gingen mit der modernsten Ausrüstung ins Gesundheitsamt. Wir hatten ein tischtuchgroßes Taschentuch, eine Literflasche Alkohol, Gaze und sicherheitshalber auch mehrere Rollen Löschpapier dabei.

Meine Frau durchsuchte ihre Küche noch nach einem Metallputzlappen‚ aber ihr Vorrat war gerade ausgegangen.

Ein schlechtes Omen!

 

Die Prozedur im Gesundheitsamt hatte sich seit dem letzten Mal nicht verändert. Ich zahlte meine Gebühr, rollte meinen linken Ärmel auf, und die Krankenschwester stach ihre Nadel in den Arm, während die beste Ehefrau von allen mit dem gesamten Arsenal vor der Türe wartete. An meinem Schmerzensschrei konnte sie erkennen, dass die Krankenschwester das Teufelszeug ganz besonders tief in meinen Arm hineinschoss. Offenbar um die Garantie zu haben, dass sich das Gift überall gleichmäßig in meiner geplagten Anatomie verteilte.

»Dass ein nettes jüdisches Mädchen einem anderen Juden so was antun kann, werde ich nie verstehen«, sagte meine Frau, nachdem die peinliche Prozedur überstanden war.

Die Schwester rief mir nach: »Eine Woche lang dürfen Sie nicht baden!«

Wir rannten spornstreichs zur nächsten Toilette, aber leider hatte ich keinen guten Tag. Ein brutal aussehender jugendlicher Krimineller erreichte eine Schrecksekunde vor uns die Tür und schloss sich ein.

Mir brach der Angstschweiß aus.

»Im Fall einer Pockenimpfung zählt jede Sekunde«, keuchte die beste Ehefrau von allen, während wir händeringend den Korridor auf und ab liefen. »Wenn man nicht sofort auf die kleinen Bestien losgeht, beginnen sie im Nu ihren tödlichen Lauf durch deine Adem.«

Wir hetzten kreuz und quer durch das ganze Gesundheitsamt, um irgendeine ruhige Ecke zu finden, in der wir mit der notwendigen Abreibung beginnen könnten, aber alle waren von verbissen reibenden Patienten besetzt. In den meisten Räumen faulenzten apathische Beamte, und draußen im Hof spazierte seelenruhig eine arrogante Krankenschwester, die uns ironisch zulächelte . . .

»Verdammt«‚ fluchte meine Frau, »zum Wagen!«

Wir rannten zu unserem Auto, sprangen hinein, und dort endlich, vom Lenkrad einigermaßen behindert, begann die beste Ehefrau von allen verzweifelt meine Wunde abzureiben.

 

Aber die verlorenen Minuten waren nicht mehr einzuholen.

Schon beim Abflug begann mein Arm zu jucken, und über Rom war er bereits geschwollen. Als wir endlich London erreichten, fühlte ich mich wie eine wandelnde Pockennarbe und schrie auf, sobald mich jemand an der Schulter berührte. Eine Woche lang litt ich wie ein Tier.

»Ich kann das nicht verstehen«, beklagte sich meine Frau, »ich habe dich mit aller Sorgfalt abgerieben.«

Wir erkundigten uns in unserer Londoner Botschaft, wieso die Spritze dann doch gewirkt hatte, obwohl wir die Wunde vorschriftsmäßig behandelt hatten.

»Ganz einfach«, lautete die höfliche Antwort, »wir haben für israelische Staatsbürger ein spezielles neues Serum entwickelt. Es wirkt nur, wenn man es in die Haut einreibt.«

 

 

Aus: Ephraim Kishon: ... und die beste Ehefrau von allen – Ein satirisches Geständnis, Verlag Langen-Müller, erschienen 1981, Seite 32-35